J. Greenfield: The Making of a Fiscal-Military State in Post-Revolutionary France

Cover
Titel
The Making of a Fiscal-Military State in Post-Revolutionary France.


Autor(en)
Greenfield, Jerome
Reihe
New Studies in European History
Erschienen
Anzahl Seiten
VIII, 325 S.
Preis
€ 92,20
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Friedemann Pestel, Historisches Seminar, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Mit dem fiscal-military state hat der britische Historiker John Brewer 1989 einen Erklärungsansatz für den geopolitischen Aufstieg Großbritanniens nach der Glorious Revolution zur Diskussion gestellt, der die Forschung zum „langen 18. Jahrhundert“ nachhaltig geprägt hat. Brewers Kernargument lautete, dass ein neues finanzpolitisches Instrumentarium aus hohen Steuereinnahmen und günstigen staatlichen Kreditaufnahmen Großbritannien zu einer besonders schlagkräftigen Militärmacht mit klaren Vorteilen gegenüber den kontinentaleuropäischen Mächten gemacht habe. Doch haben anschließende Forschungen gezeigt, dass auch andere europäische Mächte Elemente des fiscal-military state aufgriffen.1 Somit weckt Jerome Greenfields Transposition ins Frankreich des 19. Jahrhunderts Interesse, geleitet von seiner Abwägung, dass das Attribut fiscal-military zur Beschreibung der französischen Finanzpolitik besser geeignet sei als die älteren Kategorien „liberal“ oder „zivil“ (S. 7f.).

Mit seiner an der University of Cambridge und am King’s College entstandenen Studie positioniert sich Greenfield zudem prominent in der Forschungskonjunktur zu Frankreichs postrevolutionären Regimen, die in jüngerer Zeit aus politik- und kulturgeschichtlicher Perspektive neue Aufmerksamkeit erfahren haben.2 Mit Recht mahnt Greenfield für das französische 19. Jahrhundert eine stärkere Berücksichtigung von Finanz- und Wirtschaftsgeschichte an. Anhand der Entwicklung von Frankreichs öffentlichen Finanzen zwischen 1789 und 1871 macht seine Studie, dies sei vorweg gesagt, den Mehrwert eines solchen Zugangs klar. Revolutionen und Kriege und damit ebenso postrevolutionäre Perioden und Nachkriegszeiten zielten auf eine Neuordnung der Finanz- und Steuerpolitik ab – klassisch mit den Cahiers de doléances im Vorfeld der Generalstände, der Abschaffung der Ständeprivilegien 1789 und der Einführung eines staatlichen Schuldenregisters 1793. Sie schufen hohe Erwartungen an die politisch-gesellschaftliche Transformationskraft der öffentlichen Finanzen. Vor allem aber hingen seit den 1790er-Jahren die Finanzierung von Kriegen, Kriegsentschädigungen und Besatzungskosten, Kompensationszahlungen für revolutionären Besitzverlust ebenso wie staatliche Investitionen in öffentliche Infrastrukturen wie Kanalbauten und Eisenbahnen von der Finanzkraft des Staates, der Zins- und Zollpolitik sowie dem Vertrauen nationaler wie internationaler Gläubiger ab.

Dieses Zusammenspiel, das mit einer „Expansion des Staates“ (S. 17) einherging, dekliniert Greenfield für alle politischen Regime nach 1789 souverän durch und schöpft dafür aus einem breiten Quellenfundus staatlicher Institutionen, politischer Akteure, öffentlicher Berichterstattung und staatlicher Financiers. Die Perspektive bleibt dabei klar auf den Staat sowie die politischen und ökonomischen Eliten Frankreichs ausgerichtet, ergänzt um Einblicke in das Agieren internationaler Bankhäuser wie Baring oder Rothschild. Dabei wird deutlich, in welch hohem Maße das postrevolutionäre Frankreich politisch und ökonomisch ein Notabelnstaat der Oberschichten war und auch nach der Revolution von 1848 blieb.3

In den chronologisch gereihten Kapiteln gießt Greenfield ein Füllhorn an Projekten und Maßnahmen direkter und indirekter Besteuerung, Anleiheemissionen, Kostenzwängen und -spielräumen über sein Lesepublikum aus. Deren Lektüre erweist sich als dicht und stellenweise kleinteilig, ebenso aber differenziert und letztlich für den langen Untersuchungszeitraum auch kompakt. Auch wenn sich Greenfield durchaus konventionell an den einzelnen Regimen von der Ersten Republik über Empire, Restaurationszeit und Julimonarchie bis zur Zweiten Republik, dem Second Empire und der Dritten Republik entlangarbeitet, wartet er mit neuen Gewichtungen auf. Tendiert die neuere Politikgeschichtsschreibung dazu, die konstitutionellen Monarchien zwischen 1814 und 1848 zusammen zu betrachten, weist Greenfield auf die strukturelle Verwandtschaft von Julimonarchie und Second Empire im Bereich wachsender steuer- wie schuldenfinanzierter staatlicher Investitionen hin. Die Dritte Republik erweist sich ihrerseits weniger als Vollenderin des revolutionären Transformationsanspruches, sondern schloss an die Ausdehnung der staatlichen Finanzkraft ihrer Vorgängerregime an. Einen tatsächlichen Umbruch des expandierenden französischen Finanzsystems brachte erst die Verabschiedung einer Einkommenssteuer unmittelbar vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges, die ab 1916 erhoben wurde.

Die Lektüre lohnt jenseits von Spezialinteressen auch dank anschlussfähiger Neuinterpretationen von postrevolutionären Herausforderungen für die französische Politik. Greenfields luzide Analyse der napoleonischen Kriegsfinanzierung schlägt beispielsweise die Brücke zur Abwicklung der mehrere hundert Millionen Francs hohen Kriegs- und Besatzungsentschädigungen, die die restaurierte Bourbonenmonarchie nach 1815 an die Alliierten zu leisten hatte – und leistete. Vermeintlich reaktionäre Projekte der 1820er-Jahre wie die Entschädigung der zurückgekehrten Revolutionsemigranten oder der aus der Karibikkolonie Saint-Domingue vertriebenen Pflanzer, die die französische Regierung dem unabhängigen Haiti aufbürdete, verortet Greenfield wiederum überzeugend in einer Phase außenpolitischen Selbstbewusstseins ultraroyalistischer Prägung, die nach innen durch eine finanzpolitisch heikle, aber letztlich erfolgreiche Konvertierung von Staatsanleihen flankiert wurde.

Wie weit trägt für diese Geschichte der öffentlichen Finanzen das Konzept des fiscal-military state? Als Analyserahmen erweist er sich vor allem in Verbindung mit Frankreichs Außenpolitik als fruchtbar: Wie – in Greenfields Worten – „aggressiv“ das postrevolutionäre Frankreich sich nach den Niederlagen von 1814/15 als internationaler, europäischer und globaler Player zu retablieren versuchte und welcher Finanzierungsbedarf in der kolonialhistorisch noch wenig beachteten Periode eines „imperialen Meridians“ zwischen Griechenland und Algerien, Ägypten, der Rheingrenze, der Krim, Indochina und Mexiko entstand, liest man in dieser Deutlichkeit und Langzeitperspektive erstmals hier.4 Eine stärkere konzeptionelle Profilierung wäre dort zu wünschen, wo – wie bei der Pariser Stadtbefestigung – Außenpolitik und staatliche Infrastrukturpolitik oder – wie beim großen Pariser Stadtumbau oder staatlichen Getreidekäufen – öffentliche Investitionen und Revolutionsprävention zusammentrafen. Hier ging es – über ein enges Verständnis des Militärischen hinaus – um grundsätzliche Stabilitäts- und Sicherheitserwägungen, die Greenfield am deutlichsten für die Restaurationszeit anspricht. Sie blieben auch nach 1830 und 1848 politisch wirkmächtig; nicht zuletzt, da es immer auch um das Vertrauen von Investoren, um Börsennotierungen und Umlaufrenditen von Staatsanleihen ging.

Schließlich wüsste man gern mehr über die Interessen und Kalküle der Notabeln, die direkte Steuern zahlten und zugleich über Jahrzehnte Anleihe um Anleihe zeichneten und an die der Staat seinerseits Jahr um Jahr Zinsen ausschüttete. Einen solchen Perspektivwechsel unterlässt Greenfield leider ebenso, wie er auf tiefere Einblicke in die Investitionsabwägungen der mit dem Staat kooperierenden Bankhäuser verzichtet. Hier liegt ein noch weitgehend unbearbeitetes Feld für kombinierte politik-, finanz- und kulturgeschichtliche Zugänge. Greenfield reißt sie zumindest suggestiv an, wenn er fragt, welchen Beitrag die von ihm emphatisch „Demokratisierung von Regierungsanleihen“ (S. 226) genannte allmähliche Ausweitung der Zahl der Anleihekäufer zur Nationsbildung im Sinne von pensioners into Frenchmen – frei nach Eugen Weber – leistete (S. 233).5

In der Gesamtschau legt Jerome Greenfield ein Standardwerk der Geschichte der öffentlichen Finanzen in Frankreich vor – dankenswerterweise immer wieder in europäischer Einbettung und ansatzweise im Vergleich. Mit der Fiskalpolitik stellt er einen zentralen Stabilitätsfaktor des postrevolutionären Frankreichs heraus, der in älteren Großnarrativen vernachlässigt worden ist. Seine Studie bietet einen gelungenen Dialog von Politik- und Finanz- beziehungsweise Wirtschaftsgeschichte.

Anmerkungen:
1 John Brewer, The Sinews of Power. War, Money and the English State, 1688–1783, London 1989; Christopher Storrs (Hrsg.), The Fiscal-Military State in Eighteenth-Century Europe, Farnham 2009; William D. Godsey/Petr Mat’a (Hrsg.), The Habsburg Monarchy as a Fiscal-Military State. Contours and Perspectives 1648–1815, Oxford 2022.
2 Emmanuel Fureix, La France des larmes. Deuils politiques à l’âge romantique (1814–1840), Seyssel 2009; Anna Karla, Revolution als Zeitgeschichte. Memoiren der Französischen Revolution in der Restaurationszeit, Göttingen 2014; Delphine Diaz, Un asile pour tous les peuples? Exilés et réfugiés étrangers en France au cours du premier XIXe siècle, Paris 2014; Fabian Rausch, Konstitution und Revolution. Eine Kulturgeschichte der Verfassung in Frankreich, 1814–1851, Berlin 2019; Axel Dröber, Nation, Militär und Gesellschaft. Die französische Nationalgarde in Rennes, Lyon und Paris, 1814–1848, Heidelberg 2022.
3 André Jardin/André-Jean Tudesq, La France des notables. 1815–1848, 2 Bde., Paris 1973.
4 David Todd, A French Imperial Meridian, 1814–1870, in: Past and Present 210 (2011), S. 155–186.
5 Eugen Weber, Peasants into Frenchmen. The Modernization of Rural France 1870–1914, Stanford 1988.

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